Gibt es einen Kauf-Button im Gehirn?
Mit Erkenntnissen aus der Neurowissenschaft und der Neuroökonomie kann man Marketingprozesse verbessern, so die Annahme des Neuromarketing. Wenn ökonomische Entscheidungen zu großen Teilen auf unbewusst ablaufenden Prozessen beruhen, werden sie sehr stark durch Emotionen bestimmt und sind längst nicht so rational wie wir glauben. Der boomende Wissenschaftszweig Neuromarketing soll dabei helfen, das menschliche Kaufverhalten besser zu verstehen – und zu lenken.
Warum Neuromarketing?
Unternehmen geben Milliarden dafür aus, den Geschmack der Konsumenten zu treffen, wenn sie für ihre Produkte werben. Doch schon vor fast 100 Jahren gab der amerikanische Industrielle Henry Ford zu, dass die Hälfte aller Werbeausgaben vergebens ist – welche Hälfte könne er allerdings nicht sagen. Hat sich das inzwischen geändert? Können wir die Wirkung von Werbung mittlerweile präziser analysieren und nutzen?
Mit Neuromarketing lässt sich die Effektivität von Werbung analysieren und steigern.
Neuromarketing analysiert die Reaktion einer potenziellen Zielgruppe auf ein Werbemittel, ein Produktdesign oder die Ausstattung von Räumen. Wo schaut der Konsument hin? Wie reagiert er? Welche Hirnareale werden dabei aktiviert? Ziel ist es, die ausgelösten psychischen Prozesse mithilfe neurologischer Methoden nachzuvollziehen. Dabei kommen auch Techniken wie Eye-Tracking zum Einsatz, die den Blickverlauf und die Dauer des Interesses erfassen. Im MRT werden die Reaktionen dann sichtbar. Durch den Einsatz neurokognitiver Methoden erhofft man sich Informationen über unbewusst ablaufende Prozesse im Gehirn bei Kaufentscheidungen. Neuromarketing soll die Abläufe und Zustände im Organismus des Konsumenten sichtbar und messbar machen – mit dem Ziel, die Kaufentscheidungen potenzieller Kunden mit möglichst effizienten Werbemaßnahmen zu beeinflussen.
Coca Cola oder Pepsi?
Warum ist die Marke Coca Cola erfolgreicher als der Mitbewerber Pepsi? Zwei Hirnforscher fanden 2002 heraus, dass die Werbeversprechen der beiden Marken bei Konsumenten zwei unterschiedliche Gehirnbereiche aktivieren. Coca-Cola schafft es im Gegensatz zu Pepsi, sowohl den für Erinnerungen zuständigen Hippocampus als auch den für Emotionen verantwortlichen dorsolateralen präfrontalen Kortex zu aktivieren. Diese bahnbrechende Erkenntnis war der Startschuss für das Neuromarketing und die Suche nach dem Kauf-Button. „Die Hirnforschung zeigt uns, dass der bewusste und rationale Kunde eine Illusion ist. Kaufentscheidungen fallen erstens weitgehend unbewusst und sind zweitens immer emotional, so der Neuromarketing-Experte Dr. Hans-Georg Häusel. Das erklärt, warum viele Menschen beim Anblick von Sonderangeboten den Verstand ausschalten – auch wenn das „Schnäppchen“ eigentlich nicht gebraucht wird und nicht einmal günstig ist. Unser Urteil über ein Produkt hat oft weniger mit der Qualität als mit dem Image zu tun, das von Faktoren wie Preis, Design oder dem Markennamen bestimmt wird.
Wie trifft das Gehirn Kaufentscheidungen?
Der Neurowissenschaftler Dr. Bernd Weber erforscht im Life and Brain Center der Universität Bonn die hirnphysiologische Basis ökonomischer Entscheidungen. Eine Untersuchung von Testpersonen im Kernspintomografen, die durch eine Videobrille verschiedene Produkte sehen konnten, machte sichtbar, wo das Gehirn gerade gut durchblutet war. Sahen die Probanden Rabattschilder, hörte die Hirnregion für rationale Kontrolle auf zu arbeiten, während das Belohnungszentrum, der Nucleus accumbens, auf Hochtouren lief.
Jacke oder Hose: Gibt es einen Kauf-Button im Gehirn?
Auch wenn das Gehirn ein begehrtes Produkt wahrnimmt, leuchtet das Belohnungssystem im vorderen Stirnhirn auf. Beim Anblick des Preisschilds wird das Schmerzzentrum aktiv, die sogenannte Insula. Für positive Kaufentscheidungen muss also das Belohnungszentrum und dessen Neurotransmitter Dopamin so stark aktiviert werden, dass der hohe Preis dagegen geringfügig erscheint und die entsprechende Hirnregion ihre Aufmerksamkeit weitgehend drosselt.
Das Unbewusste sichtbar machen – und nutzen
Die Psychologie geht schon immer von der Existenz eines Unbewussten aus. Die Neurowissenschaft kann es jetzt buchstäblich sichtbar machen. Sie zeigt, dass es auch in der ökonomischen Welt sehr emotional und keineswegs in erster Linie rational vorgeht. Das betrifft sowohl Konsumentenentscheidungen als auch das Verhalten auf den Finanzmärkten, das oft weniger von nüchternen Kosten-Nutzen-Kalkulationen geprägt ist als von Emotionen wie Angst oder Gier. Interessant ist, dass im Kernspin Wünsche sogar dann verraten werden, wenn sie dem potenziellen Kunden nicht bewusst sind: Hübsche Models rufen stärkere Glücksgefühle bei Betrachtern hervor – auch wenn ihnen die unspektakulären Frauen einer anderen Werbekampagne sympathisch sind. Und bekannte Marken wirken stärker auf das limbische System als No-Name-Produkte.
Der gläserne Kunde
Der „Homo oeconomicus“ ist ein Konstrukt der Wirtschaftstheorie: ein Mensch, der nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten denkt und handelt. Doch die Erkenntnisse der Neuroökonomie zeigen, dass Menschen anders ticken. Das wusste man schon lange, aber heute kann man die zugrundeliegenden Prozesse besser erklären.
Mythos oder Zukunftsvision: der Blick in den Kopf des Kunden
Wird die Wissenschaft jetzt von der Industrie benutzt, um Kunden in den Kopf zu schauen und Produkte noch besser zu vermarkten? Greifen Kunden sofort zur Kreditkarte, wenn ihr Unterbewusstes ihnen etwas einflüstert? Während Marketing-Fachleute goldene Zeiten erwarten, haben Verbraucherschützer Bedenken. Streitpunkt ist der freie Wille des Konsumenten. Aber ist der durch neuronales Marketing wirklich bedroht?
Vom gläsernen Kunden oder von der Entdeckung eines Kaufknopfs im Gehirn ist man weit entfernt. Noch hat der Verbraucher das Steuer in der Hand und kann selbst entscheiden, ob das Preis-Leistungsverhältnis für ihn stimmt. Denn letztlich gründen sich Kaufentscheidungen nicht eindimensional auf Emotionen durch aktivierende Marketingmaßnahmen. Auch der aktuelle Gemütszustand des potenziellen Kunden, persönliche Empfehlungen oder Erfahrungen mit Produkten und Dienstleistungen fließen in den Entscheidungsprozess mit ein.
Neuromarketing in der Praxis
Neurophysiologische Untersuchungen werden angewendet, um zum Beispiel die Wirkung von Designs, Farben, Musik und Licht zu testen. Der Einzelhandel nutzt die Erkenntnisse des Neurowissenschaft längst: Beleuchtung, Hintergrundmusik und Duftmarketing sind gängige Verkaufsstrategien in Supermärkten. Ein verkaufsförderndes Ambiente soll das Unterbewusstsein des Kunden ansprechen und den Umsatz steigern.
Kunden mit emotionalen Videos bewegen
Auch im E-Commerce lassen sich die Erkenntnisse des Neuromarketing nutzen, um Produkte und Dienstleistungen im Netz besser zu vermarkten: Ein Erklärvideo oder ein Werbespot mit emotionalem Storytelling, bewegenden Bildern, einer angenehmen Sprecherstimme und harmonischer Musik sind eine Möglichkeit, beim Zuschauer unterbewusste Vorgänge auszulösen, die ihn positiv stimmen. Sympathische Charaktere, mit denen man sich identifizieren kann, unterstützen die verkaufsfördernde und imageverbessernde Wirkung von Videos.
Quellen:
https://www.neuromarketing-wissen.de/artikel/was-ist-neuromarketing
https://www.ionos.de/digitalguide/online-marketing/verkaufen-im-internet/was-ist-neuromarketing/
https://www.deutschlandfunk.de/sonderangebote-schalten-verstand-aus.1148.de.html?dram:article_id=180479